Wie ein Idyll aus anderer Zeit fügt sich die Abtei von Hauterive in die Landschaft einer engen Flussschleife des Flusses Saane ein (franz. La Sarine). Das Kloster liegt hoch über dem Ufer des Flusses (Hauterive = hohes Ufer, deutscher Name Altenryf), ein Komplex aus Stein, Holz und Ziegeln aus verschiedensten Epochen, umgeben von einer Mauer inmitten von saftigen Wiesen, Obstgärten und Wirtschaftsgebäuden, ein Kosmos für sich unten im Tal, von der Welt darum herum kaum wahrgenommen. Bald 900 Jahre beten und arbeiten die Mönche hier von der Welt abgeschieden und doch mittendrin, in Armut und Bescheidenheit und doch nicht ohne Einfluss auf das Geschehen um sie herum, dem sie sich auch an einem solch geschützten Ort nicht entziehen konnten.

Denn das Idyll trügt. Das einheitliche Bild des Klosterkomplexes zerfällt beim genaueren Hinsehen: die romanische Klosterkirche zeugt von den mühsamen Anfängen, die die Mönche aus dem Mutterkloster Cherlieu hier vorfanden. Auf einfachen quadratischen Säulen trägt das Mittelschiff eine Spitztonne, das in den Seitenschiffen von querstehenden Spitztonnen in den Arkadenbögen abgestützt wird, - ganz wie in Burgund üblich. Die Kirche schließt mit einem niederen gerade geschlossenen Chor und zwei Seitenkapellen auf jeder Seite ab. Insgesamt fiel sehr wenig Licht in die Kirche bei einfachen romanischen Fenstern. Trotz der später erweiterten Fenster wirkt die Kirche bis heute sehr dunkel. Der Geist der frühen Zisterzienserkirchen, wie sie dem Gründerwillen der Menschen um Bernhard von Clairvaux entsprachen, ist in Hauterive noch deutlich zu erkennen (vgl. Fontenay, Rievaulx I, Clairvaux I, Eberbach, Viktring oder Tiglieto). Obwohl der Neubau der Kirche in Clairvaux schon 1135 begann, orientierten sich die Baumeister der Kirche von Hauterive (gebaut zwischen 1150 und 1160) offensichtlich noch am ursprünglichen Schema.

Der romanische Kreuzgang entfaltet dagegen schon einen ganz anderen Geist. Hier findet sich die volle Formensprache der zisterziensischen Baumeister mit den typischen Blattkapitellen und den doppelten Arkadensäulen. Der Blick fällt im Kreuzgang jedoch sofort auf die herrlichen gotischen Maßwerkfenster, die die Bogenfelder über den Arkaden ausfüllen. Behutsam sind sie hier in die bestehende Architektur eingefügt ohne die romanischen Arkaden zu zerstören. Die selbe Achtung vor der bestehenden Bausubstanz findet sich auch beim hochgotischen Maßwerkfenster im Chor und den anderen gotischen Ein- und Umbauten. Das herrliche spätgotische Chorgestühl zeugt von der letzten Blüte im ausgehenden Mittelalter, bevor die Wirren der Reformation, Revolution und Säkularisation den Bestand des Klosters ernsthaft gefährdeten.

Das barocke Abteigebäude ist ebenso behutsam um die mittelalterlichen Gebäude herum gebaut worden. Hinter der Fassade lassen sich im Westteil zum Beispiel noch die alten Mauern erkennen, wie wir sie auch auf alten Abbildungen vor dem Umbau wiederfinden. Das stattliche Treppenhaus und die großzügigen Obergeschosse sowie die heitere und nicht zu protzige Außenfassade zeugen jedoch von einem neuen Geist, den der im 18. Jahrhundert gestalteten Neubau von Franz Beer mit sich bringt. Trotz der Erneuerung wurde das Kloster 1848 aufgehoben, 1939 aber durch Mönche der Mehrerauer Kongregation wiederbesiedelt und bleibt so bis heute ein lebendiger Ort des Gebetes und zisterziensischen Lebens.

Fotos: Achim Fürniss, August 2019
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